Vorab eine Warnung: Falls du eine Geburt per Kaiserschnitt planst, keinen starken Magen hast, kein Blut sehen kannst oder kein Chirurg bist, könnte der Film, den ich gleich bespreche, etwas verstörend für dich sein. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt… Jetzt aber zum eigentlichen Eintrag.

Der flämische Anatom und Arzt Andreas Vesalius revolutionierte im 16. Jahrhundert die Anatomie, indem er sämtliche bis dahin existierenden Arbeiten – insbesondere die von Galen – infrage stellte und sein epochales Werk De Humani Corporis Fabrica Libri Septem („Sieben Bücher über den Bau des menschlichen Körpers“) veröffentlichte. Dieses auf Dissektionen basierende Werk behandelt folgende Körperteile:

1. Buch: Knochen und Knorpel
2. Buch: Bänder und Muskeln
3. Buch: Venen und Arterien
4. Buch: Nerven
5. Buch: Verdauungs- und Fortpflanzungsorgane
6. Buch: Herz und zugehörige Organe
7. Buch: Gehirn

Über 450 Jahre nach Vesalius, im Jahr 2022, haben zwei Anthropologen, Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel, in fünf Pariser Krankenhäusern eine Art filmische Umsetzung von De Humani Corporis Fabrica geschaffen. Und ich sage es direkt: Ich habe in meinem Leben nur selten etwas so Verstörendes und Beklemmendes gesehen. Die Regisseure haben die Kamera buchstäblich unter die Haut geführt und alles, was der menschliche Körper zu bieten hat – Penis, Prostata, Tumore, Krebs, Gehirn, Brüste, Wirbelsäule, Darm, Katarakt – in den brutalsten Details festgehalten.

Ich war während des gesamten Films derart angespannt, dass ich bei vielen Szenen einfach nur wollte, dass sie sofort enden. Ich habe meine Augen geschlossen, ich habe geschrien (ja, wirklich). Doch dann kam die nächste Szene – noch schlimmer. Man sieht, wie Wirbel operativ gerichtet werden, indem sie gebrochen und mit einer Bohrmaschine bearbeitet werden. Man sieht, wie Instrumente durch die Harnröhre eingeführt werden. Und ich schwöre, ich musste den Fernseher mehrmals ausschalten, um das überhaupt über zwei Tage verteilt durchzustehen. Dieser auf Mubi verfügbare Dokumentarfilm ist definitiv nichts für schwache Nerven.

Und doch, nachdem ich ihn irgendwie überstanden hatte, blieb ein Gefühl zurück: Die radikale Intimität, mit der dieser Film die Eingriffe am menschlichen Körper zeigt – mit all seinem Fleisch, seinen Knochen, seinem Blut, seinen Toten und seinen Wahnsinnigen – ist zugleich erschreckend und faszinierend. Es ist ein Staunen voller Angst, eine Form von Ehrfurcht, ein numinous, ein mysterium tremendum!

Das Absurde daran? Trotz all des technologischen Fortschritts und der wissenschaftlichen Erkenntnisse weiß der durchschnittliche Mensch heute weniger über seinen eigenen Körper als Galen im 2. Jahrhundert in Pergamon. Wir sind in dieser Hinsicht kaum über das Niveau hinaus, auf dem man glaubte, die Erde ruhe auf den Hörnern eines Ochsen. Wobei – Galen selbst hat ja auch einige absurde Annahmen getroffen. Er sezierte Ochsenhirne und dachte, so könne er den menschlichen Verstand verstehen. Vesalius macht sich in De Humani Corporis Fabrica herrlich darüber lustig:

„Was Galens sogenanntes plexus mirabilis angeht, so muss ich hier nicht allzu viele Fehler korrigieren, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das gesamte System der Hirngefäße untersucht habe. Es gibt nichts zu erfinden, denn wir wissen mit Sicherheit, dass Galen sich irrte, indem er Ochsenhirne sezierte – und fälschlicherweise annahm, er beschreibe die Blutgefäße eines Menschen.“