Die Geschichte spielt im Jahr 2027 in London, aber zwischen dem London von 2027 und dem heutigen gibt es keinen Unterschied. Allein dafür verdient Alfonso Cuarón seinen ersten Punkt.
Science-Fiction bedeutet nicht zwangsläufig eine Zukunftsvision voller blinkender, hochentwickelter Technologien. Eigentlich möchte ich den Film sogar als realistisch bezeichnen – und ich denke, genau das war die Absicht. Die aktuellen faschistischen politischen Tendenzen werden hier in eine Geschichte über das Ende der menschlichen Fruchtbarkeit eingebettet. Doch mit der Zeit tritt dieses Thema für aufmerksame Zuschauer fast in den Hintergrund. Vor allem enthält der Film eine scharfe Kritik an der britischen Einwanderungspolitik – und das nicht, um „intellektuell zu wirken“, sondern auf eine ehrliche und durchdachte Weise.
Überhaupt gibt es in der gesamten Inszenierung zahlreiche subtile, visuelle Hinweise auf London und das, wofür es steht. Ein Beispiel: Während auf den Straßen Graffitis entfernt werden, hängt in einem Haus eines Kunstsammlers ein Banksy-Werk – nicht etwa als Gemälde, sondern als herausgeschnittene Wandfläche. Das ist keine plumpe Symbolik, sondern eine beiläufig platzierte, meisterhafte visuelle Aussage. Die Kameraarbeit und das Szenenbild sind ohnehin herausragend. Ein weiteres Beispiel: Während Clive Owens Figur mit seinem Cousin spricht, sieht man im Hintergrund das Battersea Power Station-Gebäude und fliegende Schweine-Ballons – eine klare Anspielung auf das Albumcover von Animals von Pink Floyd. Nebenbei bemerkt: Die Innenaufnahmen stammen aus der Tate Modern, aber die Außenansicht zeigt Battersea Power Station – eine bewusste, fast kunstvolle Kombination zweier realer Orte.
Die Kamera...
Es gibt eine Kampfszene, in der Blut auf das Objektiv spritzt, und die Kamera führt über drei Minuten lang eine ununterbrochene Aufnahme durch. In einem anderen Film könnte eine solche Technik übertrieben wirken, aber hier passt sie perfekt, weil der Regisseur konsequent den Stil verfolgt: „Das hier könnte wirklich die Zukunft sein, all das könnte direkt vor eurer Haustür passieren.“
Erwähnenswert ist auch, dass das Flüchtlingslager – mit seinem unterirdischen, ghettoartigen Charakter – tatsächlich am heutigen Finanzzentrum Londons, in der Gegend um Bank, gedreht wurde.
Ein passendes Zitat aus dem Film: „Jedes Mal, wenn einer unserer Politiker in Schwierigkeiten gerät, explodiert irgendwo eine Bombe.“
BILD
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Und falls ihr genug von Hollywood-Klischees habt, gibt es hier zwei überraschende Momente für euch: Zuerst Julianne Moore und dann Michael Caine – beide tauchen früh im Film auf. Aber denkt nicht: „Sie ist der bekannteste Name im Cast, sie wird sicher überleben.“ Nein, Moore wird einfach direkt am Anfang getötet. Respekt an sie – sie hätte kapriziös sein und eine Hauptrolle verlangen können, aber sie hat sich für diesen mutigen Auftritt entschieden.
Und weil der Regisseur so viel Sorgfalt und guten Willen bewiesen hat, verzeihe ich ihm, dass er die Szene, in der das Baby aus dem Gebäude gebracht wird, etwas zu lang und mit zu viel Hollywood-Pathos inszeniert hat. Vielleicht haben hier diejenigen, die das Geld gegeben haben, ein wenig mitgeredet.
IMDB - 7.9