Als Kind habe ich die Fünf Freunde- und Geheimnis um...-Reihen immer wieder gelesen. Wie sich herausstellte, gehört sie zu den am häufigsten übersetzten Autorinnen der Welt. Ihr Leben verlief phasenweise ziemlich turbulent. 600 Millionen verkaufte Bücher sind an sich schon eine beeindruckende Zahl, aber dass sie in 46 aktiven Schreibjahren über 600 Bücher veröffentlicht hat, ist schlichtweg unglaublich.
Das schien auch anderen unglaublich, weshalb es Gerüchte gab, sie habe eine Art Schreibfabrik mit Ghostwritern betrieben. Zudem wurden in ihren Büchern Spuren von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Geschlechterdiskriminierung entdeckt. Das ist natürlich eine umstrittene Angelegenheit – man müsste systematisch untersuchen, ob es sich um ein Muster handelt oder nicht. Mir fällt dazu sofort die Figur George (im Original Georgina) ein: ein eigensinniges, launisches, aber gewitztes, geschicktes und führungsstarkes Mädchen. Obwohl sie ein Mädchen war, hatte sie kurze Haare, sprach und verhielt sich wie ein Junge. Wahrscheinlich wurden solche Darstellungen als problematisch interpretiert.
Nachdem sie früh zu Geld gekommen war und ein komfortables Leben führte, scheint sie – ganz typisch – in eine Phase des exzessiven Genusses eingetreten zu sein. Es heißt, sie hatte eine lesbische Beziehung mit der Nanny ihrer Kinder sowie mit einer anderen Frau und gleichzeitig Affären mit verschiedenen Männern. Als Kinderbuchautorin hat sie also nicht gerade das makellose Vorbild abgegeben, weshalb spätere Neuauflagen ihrer Werke überarbeitet wurden. Ihr erster Ehemann, ein Verlagsmitarbeiter, wurde im Laufe der Zeit alkoholabhängig, betrog sie mit einem jüngeren Schriftsteller und heiratete ihn schließlich. Blyton hingegen betrog ihren Mann mit einem Arzt – und heiratete ihn dann. Das sind natürlich Klatschgeschichten, aber interessant ist, dass sie während der Scheidung darauf bestand, selbst diejenige zu sein, die die Klage einreichte, damit es so aussah, als sei ihr Mann der Schuldige. Ihr Mann willigte ein, doch danach hinterging sie ihn und hielt sich nicht an die Abmachung.
2009 wurde ein Film über sie gedreht, Enid, in dem sie von Helena Bonham Carter gespielt wurde. Wer sich dafür interessiert, kann ihn sich anschauen – für mich persönlich eher uninteressant. Hätte ich all das über die Autorin meiner aufregendsten Kindheitsleseerlebnisse nicht erfahren, wäre es auch kein großer Verlust gewesen.
Ach ja, ihr Nachname wird Bly-ten ausgesprochen.
Enid Mary Blyton
wurde 1897 geboren und verstarb 1968 mit Alzheimer. Als jemand, der die „Geheimnis um...“- und „Fünf Freunde“-Reihen vollständig gelesen und sie geradezu in seinen Träumen erlebt hat, überreichte ich meinem 12-jährigen Bruder voller Begeisterung die Bücher. Er blätterte ein wenig darin herum, doch wenig später fand ich sie achtlos in der Ecke liegend. Die Faszination der neuen Generation für Computerspiele und Hollywood-Filme war wohl stärker. Ich nahm es ihm nicht übel – vermutlich war mein Großvater ebenso enttäuscht, als er mir einst einen Kreisel schenkte, während ich mich lieber mit meinem Commodore 64 beschäftigte. Wahrscheinlich verlangt die Zeit eben ihren Tribut.
Mit über 600 Büchern beeindruckt mich diese Frau immer wieder mit ihrer Sprache und ihrem Stil. Wie kann eine Erzählweise, die ohne Gewalt, Sex oder Aggression auskommt, dennoch so fesselnd sein? Um den Unterschied zu erkennen, reicht wohl ein Blick auf die heutigen Zeichentrickserien und Computerspiele.